Die Akzeptanz ist verflogen

Toleranz von 1989, 1992 bis 2015

Dieses Wochenende vor 502 Jahren haben die Studenten Martin Luthers die Thesen ihres Professors in Wittenberg öffentlich gemacht. Ob es die Unzufriedenheit mit der bis dato monopollastigen katholischen Kirche war oder tatsächlich ehrbare Absichten dahinter standen, vermag ich nicht zu bewerten. Im Herbst 2020 ist mir inzwischen aber auch nach einem Thesenanschlag zwischen Erfurter Fischmarkt und Berliner Reichstag. Als der Laufladen Erfurt 1992 gegründet wurde, ging es um eine unternehmerisch geprägte Freiheit und Selbstverwirklichung meines Vaters, Frank Lehmann, nach der friedlichen Wende von 1989. Nach meiner Armeezeit mit Einsätzen im Kriegsgebiet von Afghanistan, dem Studium von Sportökonomie in Bayreuth und Sportwissenschaft in München zog es mich schließlich wieder in die Geburtsstadt Erfurt. Diese wunderbare Stadt hat nicht nur viel zu bieten sondern ist wahrlich eine Quelle von Möglichkeiten zur Innovation. Sportstadt Erfurt steht in großen Lettern in der Leichtathletik-Halle geschrieben. Der ICE Knoten mit Direktverbindungen zwischen München und Berlin lockt Touristen in immer größer werdender Zahl. Dann kamen 2015 die ersten Demonstrationen von AFD, THÜGIDA, Linken, dem III.Weg und wie sie alle heißen mögen. Gerne habe ich mir beide Seiten angehört um die Menschen zu verstehen und ihre Argumente nachvollziehen zu können. Tolerieren muss man sie dabei noch lange nicht – aber zumindest miteinander reden.

Laufen ist Luxus und dient nicht der Mobilität

Dann kam der März diesen Jahres und die Schließung des Laufladen Erfurt. In meiner jungendlichen Naivität glaubte ich damals an die Unverletzlichkeit der mir über so viele Jahre anerzogenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung mittels Innerer Führung bei der Bundeswehr. Unser erster Antrag auf Ausnahmegenehmigung verfing sich in den Mühlen des Gesundheitsamtes. Der zweite Antrag, nach Öffnung der Radläden, wurde durch die kommissarische Amtsleitung mit den Worten quittiert, dass „Laufsport ja ein Freizeitvergnügen sei und nicht der Mobilität diene.“ Auf eine evolutionsbiologische Antwort mit Bezug zur Historie habe ich sicherheitshalber verzichtet. Auch eine Beschwerde auf Untätigkeit beim Oberbürgermeister brachte keinen Fortschritt, so dass jetzt die Judikative ins Feld zieht. Parallel erreichten uns immer mehr Laufanfänger mit ihren Fragen zum Training, zur Ausrüstung und auch zu Lösungsvorschlägen bei Problemen. Gleichzeitig brechen überall die sportlichen Wettkämpfe weg und viele alte Hasen fallen sprichwörtlich in ein tiefes Motivationsloch.

Aktien, Kapitalismus und der kleine Laufladen Erfurt

Die Industrie, also unser wichtigster Partner der Lieferkette, forciert weiterhin das kapitalistische Bestreben zu noch mehr Umsatz – und zwar vorbei am stationären Handel (der ja wiederum das Herzstück der Innenstädte bilden soll). Die Werbung in den sozialen Medien übersteigt inzwischen täglich neue Rekorde. Runner´s Point gibt es nicht mehr in der Landeshauptstadt. Sport 2000 in der Erfurter Bahnhofsstraße ist ausgezogen. Und das SportScheck die letzten Karstadt Filialen von René Benko übernimmt, pfeifen die Spatzen inzwischen von den Dächern. Vorgeorderte Ware wird statt zu uns in die Laufläden lieber in die Online Shop des steuerbevorzugten Auslands geliefert um den Wegfall der Schlüsselhändler (KeyAccounts) abzufedern. Gut hat es, wer in seinem Aktienpaket auch ein paar Adidas, Brooks, Deckers oder NewBalance Aktien hat. Beim Rhönschaflauf im Sommer prophezeite mir der Krenzer Jürgen noch, dass Corona etwas ändert in unserer Gesellschaft. Das tut es, aber nicht in die Richtung, die er hoffte.

Die wirklich wichtigen Fragen für die Zukunft bis 2050

Was ich beobachte ist in großen Teilen ein Totalversagen der Politik sowie Vertretern der öffentlichen Verwaltung. Das moderater Ausdauersport gesundheitsfördernd ist, sollte eigentlich in Thüringen spätestens seit Alexander von Humboldt und Guts-Muths bekannt sein. Statt dessen wird mit immer mehr Verboten gearbeitet und eine Drohkulisse aufgebaut, die dazu führt, dass uns Läufer anrufen um in Erfahrung zu bringen, ob denn ein Lauftreff noch statt finden kann. Als wir im vergangenen Dezember im Grenzgebiet des Kongo zu Uganda standen, befand sich der Kongo in der Hochphase der Ebola Epidemie. In Uganda ist jeder achte Bürger an HIV erkrankt. Wenn Du dann auf einem Busbahnhof in Kampala stehst, inmitten von gefühlt 30.000 Menschen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Du stellst Dich der Angst oder Du rennst in Dein Zimmer und hörst auf zu leben. Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sind zwingend notwendig. Dann aber muss ein klares Lagebild vorliegen sowie eine Kommunikation angewendet werden, die es jedem Bürger möglich macht, Maßnahmen nachzuvollziehen. Als wir in Afghanistan gefährliche und unbequeme Patrouillen mit Gefechtssituationen hatten, war es ebenfalls wichtig, dass auch der letzte Soldat wusste, warum ein Befehl gegeben wurde. Genau diese Transparenz fehlt uns. Daraus resultierend kann weder die Verwaltung noch die Politik Gefolgschaft erwarten. Statt dessen spielt das Ego eine immer größer werdende Rolle. Denn die wichtigen Fragen derzeit sind nicht, ob wir nächste Woche vielleicht 20.000 oder 100.000 positiv getestete Patienten haben. Die Fragen lauten vielmehr:

  1. Bin ich als öffentliche Verwaltung in der Lage, Pläne zur Pandemiebekämpfung (äquivalent aber auch zur  Terrorabwehr, Hochwasser, ABC-Angriff, Waldbrand, Strom-/ Betriebsstoffausfall, Auswirkungen des Klimawandels) vorzulegen und diese umzusetzen?
  2. Bin ich in der Lage, diese Pläne mit mir zur Verfügung stehenden eigenen Mitteln umzusetzen (Stichworte: Kommunale Gesundheitseinrichtungen vs. kommerzielle Krankenhäuser, Aktivierung von Reservisten und anderen Katastrophenschutzelementen)?
  3. Welche Maßnahmen können die Bürger in meinem Verantwortungsbereich umsetzen, um das Risiko einer Schwächung des eigenen Immunsystems zu reduzieren?

Freuen würde ich mich, wenn die Verantwortlichen in Verwaltung und Politik auch noch die langfristigen, strategisch und visionären Fragen beantworten können:

  1. Wie schaffen wir es, dass Erfurt, Thüringen, Deutschland, Europa eine Vorzeigeregion in puncto Klimaerwärmung im Bezug auf erneuerbare Energien, Reduzierung des Gebrauchs globaler Ressourcen wird?
  2. Welche Möglichkeiten haben wir, durch eine ganzheitlich gestützte Außen-, Sicherheit- & Entwicklungspolitik den Flüchtlingszustrom nach Europa zu lenken, zu verlangsamen oder gar zu eliminieren?
  3. Welche Antworten gebe ich auf die Zunahme der Digitalisierung und dem extrem schnellen Wachsen von künstlicher Intelligenz und dem dadurch einhergehenden Wegfall von derzeit noch elementaren Arbeitsplätzen in den nächsten 20 Jahren.

Mir selbst muss ich aber auch die Frage stellen, wie nachhaltig mein Portfolio sein muss? Ist es nicht sinnvoller, mehr auf Produkte aus der (europäischen) Region wie Laufschuhe von Lunge zu setzen? Oder muss es auch weiterhin immer der Artikel aus Fernost sein?

Kriegsgeneration, soziale Interaktion & S.N. Goenka

Das der Laufladen Erfurt ein bisschen anders ist, hat sich ja inzwischen herum gesprochen sowohl in der Industrie als auch bei unseren Gästen aus nah und fern. Dennoch bin ich wahnsinnig stolz auf meine Laufmannschaft in der Lachsgasse, dass sie für jeden Läufer den gleichen professionellen Service anwenden – egal ob Laufanfänger, depressiver Home-Office-IT´ler oder eben die 80+ jährigen Vertreter der Kriegsgeneration. Wer viel reist, kann viel erzählen. Gereist sind wir bisher sehr viel und vor allem sehr weit im Laufladen Erfurt. Die letzte Reise von Dieter Lehmann ging letzte Woche zu Ende – nach einem halben Jahr voller Angst vor dem Kontakt mit anderen Menschen. Und genau dagegen lehnen wir uns auf. Treibt Sport mit Mitmenschen. Geht in soziale Interaktion mit Mitmenschen. Achtet dabei natürlich auf Hygiene. Unterstützt aber auch ab kommender Woche all jene Geschäfte, die dieser Idiotie von Politik und Verwaltung zum Opfer fallen. Haltet Euch geistig und körperlich fit. Hinterfragt weiterhin kritisch und zwar in alle Richtungen. Denunziert keine Sportfreunde sondern kommuniziert offen, ehrlich und mit nobler Sprache (noble speech) . Plant einen Restaurantbesuch bei Euch daheim! Kauft regionale Produkte, genießt Thüringen aber verflucht noch einmal, lebt weiter. Enden möchte ich gerne mit den Worten eines meiner Mentoren S.N.Goenka:

Be happy!