Preisspiralen, fehlende Konzepte und unsere Vision

30 Jahre Laufladen Erfurt und die Preisspirale fängt erst an

Laufschuhe werden teurer: NewBalance, Asics, Brooks schlagen zum Teil bis zu 40€ pro Modell drauf. Saucony steigert um 20€. Altra plus 10€. Und dann kommt von Lunge aus Mecklenburg die Mail, dass „sie uns für 2023 versichern, dass es bei unseren Modellen keine Preissteigerungen geben wird! Wegen der stetig steigenden Nachfrage erweitern wir sogar unsere Produktion und stellen neue Mitarbeiter ein.“ Das nenne ich doch einmal eine Aussage!

Vor einigen Wochen habe ich in einem unserer Social Media Kanäle eine Frage gestellt: Gibt es ein Interesse unserer Fans an Einblicken in das Leben der Laufschuhindustrie für die kommende Saison? Die Antwort war eindeutig – das Interesse besteht. Vier Wochen Vororder liegen nun hinter mir. Es geht um den Sommer 2023 und ich muss ein ehrliches Zugeständnis geben. Die zurückliegenden zwei Corona Jahre haben sehr viel verändert. Vielleicht zu viel für einen kleinen Laufspezialisten wie mich und meine Mannschaft. In 30 Jahren Laufladen Erfurt habe ich so eine Entfremdung zwischen Laufschuhherstellern und dem spezialisierten Einzelhandel noch nicht erlebt. In den vergangenen Wochen der Termine, Gespräche, Vorstellung von neuen Modellen ist Einiges passiert. Davon sollen die folgenden Zeilen handeln ohne aber Anspruch auf absolute Vollständigkeit zu haben. Statt dessen muss ich ein wenig ausholen.

Der beginnende Kampf Industrie gegen Fachhandel

Der Laufladen Erfurt ist in der glücklichen Lage, keiner Kette oder Franchiseunternehmung anzugehören. Foot Locker, RunnersPoint, SportScheck, Karstadt Sports (gibt es die eigentlich noch?) etc. sind so genannten Schlüsselhändler – also ganz besonders wichtig für die Industrie. Diese haben teilweise 20, 30 oder gar 50 Läden in Deutschland und Europa und kaufen natürlich anders ein. Wir hingegen konzentrieren uns auf die wirklich besten Produkte. Nur genau diese kaufen wir ein. Jedes Paar Laufschuhe geht durch unsere Hände, bevor es bei uns auf die Fläche, sprich in den Verkauf kommt. Da kann es bei der Kontrolle des Wareneingangs schon einmal vor kommen, dass wir feststellen, dass sich verklebte Einlagesohlen lösen, Fersenkappen brechen oder gar das GoreTex Material so schlecht verarbeitet ist, dass Wasser bereits beim ersten Dauerlauf eindringt. Stellen wir so etwas fest, wird die gesamte Order reklamiert. Das können dann, wie Mitte 2021 geschehen, auch schon einmal 45 Paar Schuhe sein, die uns natürlich an anderer Stelle fehlen. Nach Aussage der Industrie kommt so etwas vorwiegend in Erfurt vor. Ausnahmen sind das und haben überhaupt nichts mit fehlenden Qualitätsstandards in Fernost zu tun. Liest man hingegen den einen oder anderen Eintrag in einschlägigen Foren der Internetkäufer, scheint es auch noch eine andere Seite der Medaille zu geben. Bisher habe ich auch nie offensiv darüber gesprochen. Inzwischen aber sind wir an einem Punkt, an dem Ehrlichkeit mehr als eine Tugend sein sollte.

Nun kamen die Termine für 2023. Der stationäre Einzelhandel hat mindestens drei Lockdowns durchgemacht. Die Branche der Laufprofis Deutschland beendete das vergangenen Jahr im Durchschnitt mit minus 8%. Einige Kollegen der Laufspezialisten haben bereits das Handtuch geworfen oder sind kurz davor. Die Industrie jedoch hat das Geschäft mit dem Endkunden ausgebaut und teils zum offensiv erklärten Ziel erklärt. Im ersten Lockdown wurden Mietzahlungen eingefroren. DAX Konzerne u.a. schickten für sehr lange Zeit Außendienst und Vertrieb in Kurzarbeit. Gleichzeitig machten Wachstumsziele von 60% die Runde. Braucht man da den stationären Einzelhandel wie den Laufladen Erfurt überhaupt noch? Nein, definitiv nicht! Eine asiatische Firma schickt stattdessen eine Consulting Firma um uns zu bewerten. Man will herausfinden, wie gut wir doch die Ostasiaten in unserem Geschäft präsentieren. Man stelle sich einmal vor, der Lebensmittelhersteller schickt seine Agenten in die Küche des Sternekochs. Einige Amerikaner drehen an der Preisschraube, als gäbe es keine Inflation und als sei es völlig normal, dass ein Laufschuh mit 600 KM Laufleistung um die 200€ kostet. Das die Schuhe dabei leichter und deutlich weniger haltbar sind, scheinen die Entscheider aus den Augen verloren zu haben. Oder sie spekulieren darauf, dass am Ende der Saison der Lagerdruck in der Industrie so hoch ist, dass man dann mit reduzierten also (vorher) normalen Preisen verkauft.

Green-Washing und Nichtschwimmer

In den vergangenen Wochen ging es mehr als nur um zu steigernde Aufträge im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. Margen für den Händler sinken, die Produkte werden kurzlebiger und Green-Washing wird das neue Bio-Öko-Siegel der Laufschuhindustrie. Und sehr viele Partner machen mit. Da packt ein Hersteller eine Sonnenblume auf seine Schuhe und erklärt das mit nachhaltigem Material. Der Grundstoff käme wohl aus recycelten Material. Ob der Müll zum Recyceln vorher aus Deutschland nach Indonesien geschafft wurde, wollte ich wissen. Große Augen und Ungläubigkeit bekam ich als Antwort. Genau das wollen aber unsere Gäste in der Lachsgasse wissen und genau deswegen stellen wir solche Fragen.

Zunehmend bekomme ich das Gefühl, dass die Zeichen der Zeit nicht erkannt wurden. Innovative Projekte abseits der großen Events in Berlin scheint es nicht mehr zu geben. Der Besuch des Vertriebsprofis beschränkt sich auf ein Verkaufsgespräch mit garantierten Wachstumsträumen, wenn es denn überhaupt statt findet. Das Laufen und grundsätzlich die Bewegung ein Grundpfeiler des Alltags sind – genau das verstehen immer weniger Menschen in der Schuhindustrie. Es geht scheinbar in den Marketingabteilungen und Vertriebsrunden ausschließlich um Influencer, Markenbekanntheit und Absatz. Natürlich sind das die Grundpfeiler unserer Gesellschaft. In Zeiten, wo Großveranstaltungen wie der Rennsteiglauf 40% an Teilnehmerrückgang haben, der Großteil der heute 2-4.Klässler kein Schwimmunterricht hatte und auch die Sportvereine über teils dramatischen Mitgliederschwund im Kinderbereich berichten (siehe Spikeverkauf) – liegen die Aufgaben der kommenden 20 Jahre aber offensichtlich woanders. Nur sehen wollen das viele (noch) nicht.

Die Herausforderungen in Erfurt

Parallel dazu sterben die Innenstädte aus. Einerseits fördert die Erfurter und Thüringer Politik immer noch Arbeitgeber mit Subventionen im Niedriglohnsektor. Der Egapark hat mindestens 2.4 Mio. Verlust im BUGA Jahr 2021 gemacht. Die Citymanagerin Erfurt sucht händeringend nach Lösungen zur Belebung der Innenstadt. All das sind die Baustellen, die ich als Unternehmer neben noch immer nicht beschiedenen Einsprüchen aus der Corona Zeit,  fehlenden Fachkräften, steigender Inflation, sinkender Kaufkraft und vielen anderen Punkten zu beachten habe.

Ich habe mich jedenfalls entschieden, bewusst einen anderen Weg zu gehen. Noch höhere Konzentration auf das beste Produkt. Intensivierung des Einkaufs- und Beratungserlebnisses. Gnadenlose Verfolgung der „Markenmanagements“ von Laufladen Erfurt und Läuferbier  & Läuferbräu. Und vor allem Investition in unser Know How in der Erfurter Lachsgasse. Deswegen wird es die eine oder andere Firma vielleicht nicht mehr oder weniger bei uns geben. Der Krenzer, Jürgen hat einmal gesagt, dass man nach Möglichkeit nicht in das Haifischbecken steigen sollte, wo sich alle Raubfische tummeln. Wir suchen die Abgeschiedenheit des ruhigen Ozeans. Das ist nicht einfach, aber mal ganz ehrlich. Wie würden Sie sich fühlen, wenn wir Ihnen einen 180€ Premiumschuh verkaufen würden, bei dem nach 300KM die Sohlen brechen? Der Einzelhandel hat hierfür Lösungen. Der Onlinehandel lässt im besten Falls die Schuhe retournieren und DHL, HERMES, DPD etc. noch 4x mal zu Ihnen fahren. Aber Energie sparen wir dadurch nicht. Und das ist doch neben der Digitalisierung eines der zentralen Themen unserer Zeit.