Das Ende der Sportkultur

Stolz auf das Team nach drei Jahren Corona Pandemie

Was hat Sportkultur mit dem Laufladen Erfurt zu tun? An dieser Stelle könnten tolle Zeilen zum Laufladen Erfurt stehen. Ich könnte davon schreiben, wie stolz ich auf meine Mannschaft nach drei Jahren Corona Pandemie bin. Ich könnte davon erzählen, wie dankbar ich für jeden Besucher bin , der uns im Anschluss seines Besuches eine positive Rezension im Internet hinterlässt. All das wäre Balsam für mich und meine Mannschaft. Es wäre aber auch wieder Stärkung des eigenen Egos. Und davon haben wir dieser Tage wirklich genug. Ich habe das Gefühl, es geht inzwischen nur noch darum, wer das stärkste Ego hat. Diskussionen außerhalb unserer Türen finden offensichtlich nur noch im schwarz weiß Denken statt. Verbindende Elemente scheint es nicht mehr zu geben. In knapp zwei Monaten feiern wir alle die Wüsten Fußball WM und tun so, als wenn es die ganzen toten Nepalesen und Wanderarbeiter aus Bangladesch nicht gegeben hätte. Von der offen ausgelebten Korruption beim Sportverband einmal abgesehen. Die Bürgerkriege in Myanmar, im äthiopischen Tirgray und anderen Orte der Welt schaffen es nicht mal mehr in die einschlägigen Sicherheitsforen. Und bei uns entscheiden die heute Politiker und Beamte über gesellschaftliche Entwicklungen, die mich schon vor über 10 Jahren auf den Trauerfeierlichkeiten zum Tod Major Radloffs gefragt haben, was eigentlich vor Ort passiert ist. Als damaliger Außenminister bzw. Vorsitzender des Verteidigungsausschusses hätte ein wenig mehr Fachexpertise erwartet werden können. Aber darum soll es heute nicht gehen – sondern um die Folgen für den Sport als Kulturgut. Und genau dazu möchte ich eine Gesichte erzählen.

Haben wir 2040 die Pille für das Runners High?

Wir schreiben das Jahr 2040. Viele Schüler kommen nach zehn bis dreizehn Jahren und einem Abschluss oder einer allgemeinen Hochschulreife aus der Schule und beginnen ihre Ausbildung oder das Studium. Einige Jahre später stehen sie dann mit vielleicht Mitte/ Ende Zwanzig das erste Mal im Arbeitsleben. Die Anforderungen, gerade vor dem Hintergrund globaler Zusammenhänge mit / gegen China und Indien, werden nicht weniger. Also wird auch 2040 die Taktzahl der Produktivität hoch sein. Theoretisch und praktisch hat diese Generation dann schon eine ganze Menge gelernt. Wissen ist ständig verfügbar. Viele Dinge sind schon längst von der künstlichen Intelligenz übernommen. Nur eine Sache geht auch weiterhin nur noch analog und das ist der selbst durchgeführte Sport. Natürlich wird die Medizin so weit sein, dass es für alles eine entsprechende Medikation gibt. Die Pille zum Entspannen. Die Pille zum Abnehmen. Die Pille zum Blutdrucksenken. Die Pille zur Dopmaninauschüttung statt Runners High und Flow-Gefühl.

Die alten Haudegen sind fit!

Die eigene körperliche Leistungsfähigkeit, als Voraussetzung für das Bestehen im Alltag, ist völlig in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit  verschwunden. Selbst die Ostasiaten haben schon vor Jahrhunderten erkannt, dass nur in einem gesunden Körper, ein gesunder Geist inne wohnt. Im Jahr 2040 werden diese Menschen dann also das erste Mal konfrontiert mit den Folgen ausbleibender körperlicher Robustheit – physisch und psychisch. Dass Sport als Ausgleich und Kompensation zum Stress wirkt, wissen wir in der Sportwissenschaft seit den 80er Jahren. Das gesundheitsorientiertes Ausdauertraining bis ins hohe Alter vor vielen Zivilisationskrankheiten schützt, ist auch bekannt. Und dennoch fallen momentan vielen Veranstaltern buchstäblich die Teilnehmer sprich Sportler weg. Selbst beim 49.Rennsteiglauf gab es im Mai diesen Jahres, auf Teilstrecken, einen Rückgang an Zielankünften von -40 bis -60% zu 2019. Der 45.Kernberglauf in Jena hat noch in der Woche vor dem Lauf einen neuen Negativrekord an Voranmeldungen kommuniziert. Zahlenmäßig die größte Gruppe beim Erfurt Triathlon waren nicht die Nachwuchssportler sondern die 35-50 Jährigen. Viele der Teilnehmer kenne ich noch aus meiner Kindheit. Mensch habe ich früher zu denen aufgeschaut, als sie mit einem Rucksack vom Ironman Roth oder Zürich kamen. Und genau diese Haudegen sind heute fitter denn je. Das macht bedenklich und bedeutet, dass die jetzige Generation zu 40% nicht mehr an Wettbewerben teilnimmt. Und die Frage ist: Warum? Wird kein Sport mehr getrieben? Möchte man sich grundsätzlich nicht anmelden? Wobei dann immer noch die Option der Nachmeldung bestünde. Oder gibt es ganz andere Gründe? Ich denke, dass die letzten drei Corona Winter und das Versagen von vielen Medien und vor allem der breiten Politik dazu geführt haben, dass Sport nicht mehr als Kulturgut wahrgenommen wird. Somit können die Vorzüge von Sport und Bewegung auch nicht an die nächste und übernächste Generation weitergelehrt werden.

Bandscheibenvorfall in der Gesellenprüfung

Haben wir dann im Jahr 2040 also schon 25-Jährige mit dem ersten Burn-Out? Haben 18-Jährige während der Gesellenprüfung dann den ersten Bandscheibenvorfall? Wie hoch ist dann 2040 bei den 30-Jährigen die kognitive Widerstandskraft bei Stress? Wenn der Nachwuchs und das erste Kind dazu kommt? Wenn es auf der Karriereleiter oder mit dem Partner nicht so läuft? Sprich, wenn die ersten schweren Herausforderungen im Leben auf die Menschen zukommen. Im Sport, unabhängig ob Läufer, Mannschaftssportler, Triathlet oder Tänzer, lernt man die Vorzüge des Sports kennen. Wer sich bei uns Läufern im Intervalltraining über 10x 1000m bergan quält, der entwickelt ein Gespür für den Körper, Geist und entsprechende Grenzen. Wer sich dann noch sportliche Ziele außerhalb der Komfortzone setzt, wird automatisch in den Kreislauf aus Schaffungsphase, Erfolge erarbeiten und Zufriedenheit gelangen. Eine Anmerkung noch zum Schluss um sicher zu gehen, dass keine Missverständnisse entstehen.  Ich rede nicht vom Marathonlauf unter drei Stunden. Ich rede auch nicht von der 100 KM Wanderung im strömenden Regen oder gleich einem Ironman über die volle Distanz. Mir geht es darum, dass jeder Mensch wieder persönlich die Verantwortung für sich übernimmt. Physisch über die körperliche Leistungsfähigkeit und vor allem psychisch über das Thema Persönlichkeitsentwicklung. Impulse dafür gibt es genug – zum Beispiel über die Veranstaltungen um uns herum. Dazu müssen aber auch die Veranstalter genau diese Impulse vermitteln und nicht einfach auf Anmeldungen warten. Wenn das oben erwähnte Sportverhalten ausbleibt, weil es nicht gefordert und gefördert wird – dann steht unserer Gesellschaft ein viel größeres Problem bevor. Ich frage mich, ob sich 2040 dann die 30-Jährigen noch knapp 40 Jahre bis zur Rente retten wollen oder dann beginnen mit Sport. Und wer lehrt und trainiert sie dann?

Mein Appel und Impulse zu mehr Bewegung

Daher ergeht mein Appel an die Sportler von heute: Motiviert Euer Umfeld, Eure Nachbarn, Freunde, Kinder, Enkel zu mehr Bewegung. Geht raus in die Natur! Klettert wieder die Bäume und Klettergerüste hoch! Geht im Winter im Fluss oder der Kiesgrube baden! Schafft Euch regelmäßige Zeitfenster, wo Ihr mindestens zweimal pro Woche für eine Stunde in der Monotonie der Bewegung seid. Das muss nicht unbedingt der Dauerlauf mit einer 4min Pace auf den Kilometer sein. Oft reicht auch der lange Spaziergang aus. Aber es sollte tatsächlich eine Stunde sein. Vielleicht fragt Ihr auch Eure Bundestagsabgeordneten, warum es keinen Lauftreff bei ihnen gibt. Und auch die Landeshauptstadt Erfurt müsste ihr großes Werbebanner mit Sportstadt Erfurt in der Leichtathletik Halle abnehmen. Aber das ist Stoff für einen neuen Beitrag.

Bleiben Sie gesund!

Ihr Boris Lehmann